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Interview mit den Scorpions

Foto Ralf Strathmann

Foto Ralf Strathmann

Eine grossartige Rockband mit langer Geschichte, von der viele Radiohörer jedoch leider nur einen Song kennen - Wind Of Change. Dass die Scorpions weit mehr drauf haben, beweisen sie uns seit mehreren Jahrzehnten und speziell auch mit ihrem neuen Album "Humanity - Hour I". Wir hatten die Möglichkeit, mit dem Gitarristen Matthias Jabs ein Interview zu führen.

hitparade.ch: Nach über 40 Jahren als Musiker habt ihr viel erlebt - was würdet ihr rückblickend als eure positivsten und negativsten Momente bezeichnen?
Matthias Jabs: Die positiven Momente sind zum Glück in der überwältigenden Mehrheit, es ist schwer, hier ein bestimmtes Ereignis herauszunehmen. Der Riesenerfolg von "Wind of Change" und dem dazugehörigen Album "Crazy World" war wohl das Highlight unserer Karriere, speziell wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit die Rock-Musik der 80er an Popularität eingebüsst hatte und als "uncool" bezeichnet wurde.
Das Schlimmste was uns als Band passiert ist, geschah wohl 1981 während der Aufnahmen zu "Blackout" mit unserem Mobilstudio in Südfrankreich, wo wir uns eine wunderschöne Villa in der Nähe von Cannes eingemietet hatten. Alles war wunderbar, bis plötzlich von Klaus die Stimme versagte. Also mussten wir unverrichteter Dinge wieder abreisen, Klaus musste sogar operiert werden und konnte danach eine Zeit lang nicht mehr richtig sprechen. Wir mussten ihm Mut machen, denn er wollte schon aufgeben. Aber mit einer weiteren Operation und dank eines sehr guten Therapeuten in Wien ging es nach einem halben Jahr wieder besser. Für ihn persönlich war diese Geschichte ein natürlich Drama, für die Band eine grosse Belastungsprobe - das Gute daran ist, dass wir dadurch viel stärker zusammen gewachsen sind.

hitparade.ch: In diesem langen Zeitraum habt ihr auch viele andere Interpreten miterlebt. Inwiefern werdet ihr noch von solchen beeinflusst bzw. wen würdet ihr als eure Vorbilder bezeichnen?
Matthias Jabs: In unserer Anfangszeit hatten wir vorwiegend Vorbilder aus dem angloamerikanischen Bereich wie Jimi Hendrix, die Elvis-Welle zeigte damals auch schon ihre Wirkung, vor allem bei meinen Band-Kollegen, ansonsten galten hauptsächlich britische Bands als Vorbilder wie Led Zeppelin, The Beatles oder die Rolling Stones - also eigentlich die grossen Pop- und Rock-Künstler der 60er und 70er Jahre.
Und wie man sieht, englischsprachige Künstler - denn mit deutschem Gesang könnten wir wohl nicht Stadien in Südkorea füllen (lacht).
Wobei wir aber Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre sehr wohl unseren eigenen, stark wiedererkennbaren Stil entwickelt haben.
Heute läuft das etwas anders: Wir haben vier Monate in Los Angeles für die Aufnahmen zu unserem neuen Album verbracht und dort viele international bekannte Musiker getroffen und auch mit ihnen gemeinsam Songs geschrieben. In Europa, mit Ausnahme von England, muss man den Fernseher einschalten um solche Gesichter zu sehen, wohingegen sich viele Künstler in Los Angeles aufhalten - für uns hatte dies den Vorteil, dass wir uns inspirieren lassen und auch lernen konnten. Wenn man ständig mit den gleichen Leuten zusammenarbeitet, erkennt man die guten Ideen oft nicht mehr weil man nach 30 Jahren eben nur selten Überraschungen beim Gegenüber erlebt. Ein Aussenstehender, für den alles neu ist, kann da besser differenzieren und auch neuen Input geben - so entstanden oft in Kürze neue Songs.

hitparade.ch: Auf welche Künstler seid ihr dort beispielsweise gestossen?
Matthias Jabs: Wir haben dort z.B. Eric Bazilian, den Sänger und Gitarristen von The Hooters, einer Band aus Philadelphia, getroffen. Wir sind gut mit ihm befreundet und treffen ihn öfter, da er sich häufig in Schweden aufhält.
Ausserdem haben wir mit Martin Fredriksson, der häufig und auch derzeit für Aerosmith schreibt, zusammen gearbeitet, wie bereits einmal 1998.
Billy Corgan, der Sänger der Smashing Pumpkins, ist einer der grössten Scorpions-Fans und wollte unbedingt mit uns etwas machen. Er nahm gerade mit Roy Thomas Baker ein Album auf während wir nebenan mit Desmond Child arbeiteten. Da wir Roy Thomas Baker letztes Jahr in Deutschland getroffen hatten, entstand der Kontakt in Los Angeles mit Billy Corgan - und er singt somit auf einem unserer Songs.

hitparade.ch: Viele Umbesetzungen prägen eure Laufbahn - inwiefern haben euch diese in euerer Entwicklung gestört oder gefördert?
Matthias Jabs: Ich bin seit 1978 dabei, zuvor gab es etliche Umbesetzungen. Aber in diesen 29 Jahren haben wir nur einmal den Schlagzeuger sowie zwei Bassisten gewechselt.
Wir waren zu Anfangszeiten fünf Freunde die um die Welt zogen und damit auch noch grossen Erfolg hatten - als dann der erste ausschied, gab uns das schon einen Knacks, weil es das " unzerstörbare Fünfergefüge" in dem Sinn nun nicht mehr gab. Ein neuer Typ kann zwar den anderen musikalisch und auch als Freund sehr gut ersetzen, aber trotzdem kann er die Zeit nicht zurückdrehen und bedeutet einen Neuanfang.
Seit unser Schlagzeuger gegangen ist, sind wir eigentlich nur noch zu dritt und andere kommen von aussen dazu, auch wenn der neue Schlagzeuger schon wieder elf Jahre dabei ist. Natürlich sind "die Neuen" musikalisch und als Freund gesehen vollwertige Mitglieder, aber den Ursprungsgedanken der Band können sie natürlich nicht mittragen

hitparade.ch: Letztes Jahr wurdet in der Chart-Show der Song "Fuchs geh' voran" von den Hunters vorgestellt - dabei wurde erwähnt, hinter diesem Pseudonym würden sich die Scorpions befinden. Im Netz konnte ich hierzu keine Infos finden. Inwiefern stimmt diese Information also?
Matthias Jabs: Das war vor meiner Zeit, aber an dem Gerücht ist schon etwas dran. Es handelt sich um die deutsche Version des Sweet-Klassikers "Fox On The Run" - allerdings wurde diese Version immer sehr gut unter Verschluss gehalten, aus gutem Grund nehme ich an. Das war wohl so um 1975 herum als die Band gemeinsam mit The Sweet tourte.

hitparade.ch: In der "Ewigen Bestenliste" von hitparade.ch steht "Wind of Change" auf Platz 3 - wie steht ihr heute zu diesem historisch denkwürdigen Song, der gleichzeitig euer erfolgreichster war?
Matthias Jabs: Wir mögen diesen Song nach wie vor sehr gerne. Natürlich sind wir uns auch bewusst, dass das Timing für die Veröffentlichung perfekt war. Irgendwie wurde er ja fast in einer Art Vorahnung geschrieben, denn die Art Marketing, dass im Osten der Kommunismus zusammenbricht und die Berliner Mauer fällt, hat man normalerweise nicht. Die Menschen haben dieses positive Gefühl auf unseren Song übertragen und deshalb ist er in den Hitparaden wohl noch erfolgreicher gewesen. Deshalb muss man fairerweise sagen, dass man nicht weiss, wie sich der Song in Konkurrenz mit anderen geschlagen hätte, wenn nicht dieses geschichtliche Ereignis geschehen wäre.

hitparade.ch: Nichtsdestotrotz ein toller Song....
Matthias Jabs: Genau, ein schöner Song! In Korea, was ich bereits vorher erwähnt habe, wurden wir ja auch eingeladen zu spielen. Dort existiert ja auch eine Grenze zwischen Nord- und Südkorea. (leicht ironisch) Da dachten sie sich wohl, die Scorpions müssen sie sich ins Land holen, denn dann passiert was. Hat leider bis heute nicht geklappt....

hitparade.ch: Habt ihr diesen enormen Erfolg je als Druck für Nachfolgesongs betrachtet?
Matthias Jabs: Die Schwierigkeit lag darin, dass der Song eine andere Richtung einschlug als man von uns gewohnt war. Früher sprachen wir nur die typischen Rock-Fans an, plötzlich hatten wir ganze Familien als Fans. Wenn diese auf unsere Konzerte kamen, mussten sie dann oft zwei Stunden auf dieses Lied warten und sich dazwischen die teilweise harten, brachialen Songs anhören. So etwas kann einen natürlich aus der Balance werfen denn jeder erwartet auf der nächsten Platte einen Song mit ähnlichem Erfolgscharakter, der Versuch so etwas zu wiederholen scheitert aber meist kläglich, was wir bewusst nicht gemacht haben, denn es fühlt sich weder gut an noch kommt es authentisch rüber.

hitparade.ch: Am 25. Mai erscheint das neue Album "Humanity Hour I" - mit welchem eurer bisherigen Alben kann man dieses am ehesten vergleichen oder habt ihr eine neue Stilrichtung eingeschlagen?
Matthias Jabs: Von der Stilrichtung her haben wir so etwas noch nie gemacht. Auf der Website habe ich auch fast nur positives Feedback gelesen. Die Fans meinen, das Album knüpfe an das 84er Album "Love At First Sting" an, was auch unser erster Millionen-Seller mit Hits wie "Still Loving You" war. Nach "Crazy World" war es auch unser zweiterfolgreichstes, es hat uns aber im Grunde genommen sogar mehr bedeutet, weil wir eben damit den Durchbruch geschafft haben.
Musikalisch ist das neue Album aber wesentlich feiner gestrickt, wir haben musikalisch einiges in den Jahren dazugelernt, werden also im Gegensatz zu vielen anderen besser.

hitparade.ch: Desmond Child war der Produzent - inwiefern verändert eine so prominente Zusammenarbeit die Erwartungshaltung an das neue Album?
Matthias Jabs: Zu unserem Glück bezeichnet er uns als "Icons" (Ikonen), er produziert nämlich nur namhafte Grössen, ist aber auf kein Genre festgelegt, er arbeitete ja mit Cher oder Alice Cooper und würde wohl auch Mariah Carey machen, hat also musikalisch keine Schmerzgrenze (lacht).Egal was er macht, er hat meist Erfolg damit. Seine Stärke liegt vor allem im Songschreiben und beim Produzieren des Gesangs. Das hat er ausgezeichnet hingekriegt: die Texte haben Hand und Fuss und der Gesang ist ausdrucksstärker denn je. Daran haben wir auch sehr lange gefeilt.
Unser Co-Produzent James Michael muss auch einmal erwähnt werden, er hat unheimlich viel im musikalischen Bereich erledigt.
Die Band ist aber so stark, dass sie sich in keine ungewollte Richtung drängen lässt, denn viele dachten bei Desmond Child an eine poppige Platte, was wir aber nicht bestätigen können.

hitparade.ch: Sind die Texte also nicht unbedingt autobiografischen Inhalts, wenn Desmond Child an ihnen gearbeitet hat....
Matthias Jabs: Nein, obwohl etwas autobiographisches ja immer ein wenig mit einfliesst. Hierbei handelt es sich aber um ein Konzeptalbum mit dem weiten Thema "Humanity", was ja Menschlichkeit sowie Menschheit bedeutet. Darüber kann natürlich unendlich viel geschrieben werden und verschiedene Facetten werden angesprochen und auch Texter von aussen tun sich leicht, da zu diesem Thema ja jeder etwas sagen kann.

hitparade.ch: Wem oder was verdankt ihr die Energie und Motivation, dass ihr euch so lange im Geschäft halten könnt?
Matthias Jabs: Also irgendwie liegt da etwas in den Genen was wir noch nicht genau eruieren konnten. Definitiv ist es aber die Fokussierung auf ein in der Ferne liegendes Ziel, das man nicht genau beschreiben kann, auch nach den vielen Jahren nicht. Den Sturm und Drang nach draussen in die Welt zu wollen praktizieren wir ja schon seit den 70er Jahren und dieser hält uns noch immer fest. Natürlich bedeutet auch die grosse Liebe zur Musik eine grosse Motivation, ein Leben ohne Musik wäre momentan unvorstellbar.
Ich muss auch zugeben, dass wir ein tolles Leben führen: wir sehen die Welt, werden überall mit offenen Armen empfangen, fliegen 1. Klasse, wohnen in den besten Hotels und spielen für Geld vor Tausenden von Leuten - es gibt also keinen besseren Beruf, denn die Verbindung von Leidenschaft und Beruf gibt es ja leider selten!

hitparade.ch: Die Frage, ob ihr ans Aufhören denkt, werde ich bewusst nicht stellen.
Aber: Welche Ziele verfolgt ihr nach so vielen Jahren noch?
Matthias Jabs: Konkrete Ziele, wie beispielsweise China erobern, finde ich ein wenig platt. Ich habe aber beim Titelsong des neuen Albums "Humanity" das Gefühl, dass da viel Atmosphäre, Melodie und gute Lyrics drinnen stecken - ähnlich wie bei "Wind of Change". Er passt ausgesprochen gut in die Zeit und könnte vielleicht in fünf Jahren in, mal wieder, Südkorea das Stadion füllen (lacht) und die Leute könnten denken, dass es keinen repräsentativeren Song für die damalige Zeit gegeben hat. Nach dem Motto: "Die Welt geht unter, wenn wir nicht in gewissen Bereichen die Richtung ändern!" Ich bin jedenfalls darauf eingestellt, dass da etwas Grosses auf uns zukommt!

hitparade.ch: Ich wünsche Euch viel Erfolg und dass das neue Album so einschlägt wie ihr euch das vorstellt!