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Interview mit Patent Ochsner







Am 29. August 2008 veröffentlichen Patent Ochsner ihr siebtes Studioalbum "The Rimini Flashdown - Part One". Wir haben Büne Huber an einem schönen Sommertag zum Interview getroffen.

Unser letztes Interview ist mittlerweile drei Jahre her. Dazwischen wart ihr auf Tour und du bist mit dem Swiss Jazz Orchestra aufgetreten. Was hast du in dieser Zeit noch alles gemacht, ausser dem neuen Album?
Kaum hatte die Tour aufgehört, wurde ich ziemlich "alltäglich". Dann wurde es meine Hauptbeschäftigung, für das neue Album zu arbeiten. Das bedeutete viele Bücher zu lesen, viel Inspiration zu suchen, Filme zu schauen, oder das was man sonst noch so brauchte. Einfach das zu tun, wo es dich hinzieht. Und ansonsten? Kochen! Für die Tochter zum Beispiel.

Wie und wo sind Dir bei diesem Album die Ideen zugeflogen? Gibt es spezielle Geschichten?
Es gibt eine Geschichte, die mir dazu einfällt: Seit der dritten Klasse bin ich schlafgestört. Manchmal in ganz dramatischen Formen. Seit nun zwei Jahren habe ich einen Weg gefunden, wie ich schlafen kann. Ich bin in der glücklichen Position sagen zu können, dass ich dieses Problem nun besser im Griff habe. Ich weiss nun woher es kommt, und kann es so auch besser ertragen. Und wenn es nicht da ist, dann freue ich mich darüber. Und wenn ich schlafen kann, dann habe ich natürlich auch Träume. Diese Träume sind für mich nun zu einer Inspirationsquelle geworden, das hatte es früher natürlich nicht gegeben. Den Refrain des Songs "21 Gramm", den habe ich geträumt. Das fand ich total lustig. Mitten in der Nacht träumte ich: "Wo genau simmer hie, isch das dr Rand vor Ärde, gheie ne mit em nächschte Schritt is bodelose Nüt". Der Witz der ganzen Geschichte ist: Ich bin aus dem Bett gefallen! Einen Moment lang balanciert man schlafend an der Bettkante, träumt sowas und fällt runter - ich bin erwacht und bin fast verreckt vor Lachen. Es war einfach so fassbar. Ich bin sehr stark aus dieser Traumwelt herausgekommen, sehr inspiriert aus der Fellini-Filmwelt. Denn in dem Traum ging es auch um Federico Fellini. Er taucht auf, ich rede mit ihm, und sage: "Ich habe ein Problem, ich habe nicht einmal einen Arbeitstitel für die neuen Songs". Und er sagt zu mir: "Ich bin mir sicher, die Scheibe muss Rimini Flashdown heissen." Und am nächsten Tag dachte ich mir: Wenn Federico Fellini dir sagt, dass die Scheibe so heissen soll, dann sei kein Idiot und höre auf ihn. Es ist nicht mehr und nicht weniger, also: Merci vielmals! Die Träume waren ein starker Input bei diesem Album.

"Rimini Flashdown" ist ein eher ungewöhnlicher Titel für eine Patent Ochsner Platte. Hattest du nie das Gefühl, dass ein englischer Titel vielleicht nicht passt?
Sicher habe ich im ersten Moment darüber nachgedacht, aber wie gesagt, das war einfach der Augenblick. Es muss ja nicht immer alles nachvollziehbar und in sich logisch sein. Es ist auch eine Form von Realität, dass sowas passiert. Und wir haben zum Glück einen Job, bei dem man kreieren und machen kann, was man gerne möchte. Und wenn ich einen chinesischen Titel möchte, dann kommt halt einfach ein chinesischer. Das ist halt so! Und dann kann ich erklären, wieso ich diesen Titel für den Richtigen halte. Auch wenn dann wahrscheinlich alle fragen würden, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe (lacht). Zum Glück gibt es eine Plattform, wo wir machen können, wonach uns ist. Es gab schon einige Menschen, die gesagt haben, sie können nicht verstehen, weshalb die Ochsners auf einmal so einen Titel haben. Und ich habe gesagt: Ich auch nicht! Der Fellini hat's doch gesagt!

Hast du denn jetzt immer einen Notizblock neben deinem Bett, und schreibst nach dem Aufwachen sofort deine Träume auf?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt einfach einzelne Sachen, die wirken nachhaltig. Aber der Refrain von "21 Gramm", den musste ich aufschreiben, da er bereits einen Reim hatte. Ich hatte das noch nie zuvor erlebt, dass ich einen so realen Traum hatte, und dazu einen Text träume, der sogar noch Reimformen hat. Das musste ich einfach aufschreiben, es war so schräg. Es gibt natürlich Sachen, die so stark wirken, dass sie noch tagelang nachhallen. Wenn du im Traum in eine lebensbedrohende Stresssituation kommst, dann wachst du doch manchmal auf und denkst "Puh, gerade noch entkommen". Der Körper hat wahrscheinlich tatsächlich dieses lebensbedrohende Gefühl durchlebt. Der Kopf schaltet dieses Gefühl dann vielleicht aus, der Körper trägt es aber noch einige Zeit mit. Solche Sachen finde ich sehr spannend. Ich habe auch manchmal an Dingen gearbeitet, und plötzlich ist so ein Impuls wieder aufgetaucht.

Ist es mit den Jahren einfacher geworden, Songs zu schreiben? Hinter Dir steht immerhin eine riesige Fangemeinde, die immer darauf wartet, wieder neue Songs von Dir zu hören.
Das ist unterschiedlich. Ich hatte beispielsweise einen Song, der im Dezember entstanden ist. Zuerst war ich absolut begeistert davon. Doch mit der Zeit fand ich den Song einfach nur noch Quatsch. Immer mehr spürte ich, dass ich mit dem Text noch nicht an dem Punkt angekommen war, an dem ich hätte sein müssen. Also machte ich einige Tage Pause und nahm mir vor, im Januar noch einmal richtig intensiv daran zu arbeiten. Und je länger ich daran gearbeitet habe, umso schlimmer wurde der Song. Er wurde mit jeder Version einfach noch ein bisschen beschissener als vorher. Und diesen Zustand fand ich furchtbar. Es wurde immer wieder eine Kopie von sich selber, wurde immer plakativer und blöder. Und ich hatte ab und zu einen Moment der totalen Kapitulation. Und ich wollte aufgeben und sagen: Es wird einfach nichts. Und am Schluss fällt dir der Song vor die Füsse, ohne irgendwas gemacht zu haben.

Du hast ja einen Song auf dem Album, der heisst "Gruusigs Lied". (Das isch es huere gruusigs Lied wo sich säuber wichtig macht). Auch Züri West hatte ja Probleme mit den "haube Songs", die sich schon in den Charts sehen. Inspiriert das denn zusätzlich, wenn man bei einem Song nicht weiterkommt?
Das gruusige Lied ist entstanden, bevor "Haubi Songs" draussen war. Aber es kann auch damit zu tun haben, dass Kuno und ich im vergangenen Jahr sehr viel miteinander zu tun hatten. Wir sind immer im gleichen Auto angereist, als wir für das Jazz Orchestra unterwegs waren. Wir sind uns viel näher gekommen als in den vergangenen Jahren. Früher hat man sich eher zufällig angetroffen, jetzt haben wir viel mehr voneinander mitbekommen. Wir haben auch gemerkt, dass wir aus ähnlichen Quellen Inspiration schöpfen. Wir sind etwa gleich alt, so ergeben sich auch viele gemeinsame Themen. Es kommt darauf an, wo man steht im Leben.

Auch Züri West stand in Rimini - am Bahnhof. Und du am Strand. Was hat es mit Rimini auf sich?
Es ist so, dass ich vor vielen Jahren mal im Januar dort war. Ich wollte immer wissen, wie die Städte an der Adriaküste, die im Sommer immer dermassen überbevölkert sind, im Januar aussehen. Am Meer war diese Stadt wie eine Art Geisterstadt. Hinten im Landesinneren gab es zwar Menschen, aber am Strand, wo im Sommer der Bär tanzt, ist einfach nichts. Es gab mir ein apokalyptisches Gefühl, es herrschte Weltuntergangsstimmung. Als hätte es einen Atomschlag gegeben und ich hätte es nicht mitbekommen. Ich war total alleine dort. Und dies sind natürlich reizvolle Bilder, um Texte zu machen. In dieser stillen Stimmung kam dann der Moment der Kreation auf. Und die Liebe konnte wieder wachsen. Der Song klingt ein bisschen nach Altersheim. (lacht).

Du hast während den Studioaufnahmen an einem Studiotagebuch geschrieben, das man im Internet mitverfolgen und lesen konnte. Viele Künstler jammern ja oft, wie anstrengend das Produzieren im Studio ist. Wie hast du das erlebt? Wie hattest du noch Zeit, so ein Tagebuch zu schreiben?
Ich habe Bärenkräfte! Normalerweise sagt man den Männern ja voraus, sie können nicht multitasken. Ich kann aber tatsächlich, während wir im Studio sind, ein Tagebuch schreiben, Songs schreiben, musikalisch eingreifen, singen, spielen, fotografieren. Wenn du ein Klima der Kreativität schaffen kannst, ist es erstaunlich, was für eine Power du entwickeln kannst. Aber die meisten Menschen, die ich kenne, die wissen gar nicht, was für Kräfte in ihnen stecken.

Wie habt ihr euch seit "Liebi, Tod und Tüüfu" weiterentwickelt? Uns kommt das Album radiotauglicher vor...
Ich habe mich von diesem arbeitsschöpferischen Prozess, in den die ganze Band involviert ist, distanziert. 2004 habe ich gesagt, dass ich so nicht arbeiten kann. Ich kann nicht in einem Kollektiv von sieben Leuten, die alle reinreden können, arbeiten. Ich arbeite mit einem ausgewählten Produzenten zusammen, und von dort aus geht's dann weiter. Ich möchte, dass eine deutliche Handschrift erkennbar ist. So dass die Songskizze als Bild noch erkennbar ist. Ich kann mich nicht mehr auf Spässe einlassen, dass aus einem Walzer ein Cha Cha Cha oder ein Samba wird. In der alten Ochsner-Form war das noch möglich, damals hatte mich fasziniert, dass man Songs misshandeln kann. Und heute geht das nicht mehr. Die Zusammenarbeit zwischen Andy Hug und mir wurde nun intensiver und wilder. Und ich hatte das erste Mal den Nerv, die Dinge einfach laufen zu lassen. Der Tontechniker Helge van Deik, Andy Hug und ich haben extrem in die Songs eingegriffen, die anderen der Band waren im Studio und haben geholfen alles umzusetzen. Die Handschrift ist nun noch deutlicher "Hug / Huber". Auch die Tatsache, dass wir analog, also mit Band, aufgenommen haben, hat uns extrem inspiriert. Es ist eine ganz neue Klangwelt. Am liebsten würde ich gar nicht anders arbeiten, aber irgendwann wird es leider diese Bänder nicht mehr geben.

In einem Song singst du: "E ha no lang ned aus entdeckt, wo sich vor mier hed versteckt". Was würdest du musikalisch gerne noch entdecken?
Ich weiss zum Glück noch nicht, wo die nächste Scheibe landen wird. Aber ich weiss, dass wenn man richtig zusammenfindet, dass einen Impulse dann in die richtige Richtung treiben werden. Und dort machst du dann Entdeckungen. Und das ist es, worum es geht: Dass immer wieder an verschiedenen Orten Überraschungen warten. Und du musst soweit offen sein, dass diese Überraschung reinkommen kann.

Am Schluss wird die Platte ja ziemlich melancholisch. Wieso habt ihr die Songs so angeordnet, dass die CD so ausklingt?
Einer der ersten Songs war Apollo 11. Und ich wusste sehr früh, dass dies das Ende der Scheibe sein wird. Und auch bei "21 Gramm" wusste ich früh, dass er der Bogen zu "Apollo 11" sein wird. Denn bei "21 Gramm" gibt es einen Instrumentalteil, der sich durch ein Orchester aus Streichern immer weiter aufbaut. Das war der perfekte Übergang. Dieses "über den Rand der Erde kippen" ist eine Todesmetapher. Aber auch im Sinn einer Befreiung. Mir gefiel das Bild, über den Rand zu kippen, über die Milchstrasse zu schweben, frei zu fliegen. Und da nehme ich Bezug zu den ersten starken Bildern, ich, sieben Jahre alt, mit meinem Vater, sitze auf dem Balkon im Jahr 1969 im Sommer, in genau dem Augenblick als Neil Armstrong den ersten Schritt auf den Mond macht. Ich stand da mit einem Gefühl der innigen Nähe zu meinem Vater und wir haben uns den Mond angesehen. Das ist eine Geschichte, die mich nie wieder verlassen hat. Seit Jahren wusste ich, dass ich dieses Gefühl irgendwann in einem Song umsetzen werde. Nun war es soweit. Und es war mir sehr wichtig, dieses Bild einmal umsetzen zu können. An Melancholie habe ich dabei aber eigentlich nicht gedacht. Es ist dann einfach so passiert. Das Album startet sehr positiv und lebendig, und irgendwann kippt das Ganze dann. Genau wie es auch bei "Liebi, Tod und Tüüfu" auch passiert ist. Was ich allerdings nicht ausstehen kann, ist, wenn Etwas total Positives auf einmal "pfft" gebrochen wird durch was Trauriges, und dann plötzlich wieder lustig wird und so. Man muss einfach eine Kraft ausnützen, die ein Song auslöst.

Das Album dauert 10 Minuten länger als die meisten CDs. Viele Künstler sagen, dass man nach 45 Minuten müde ist und nicht mehr zuhören kann. Achtest du dich auf solche Sachen?
Ich würde eine Scheibe eigentlich lieber nicht länger als 45 Minuten machen. Es stimmt, es hat mit der Konzentrations-Aufmerksamkeitsspanne zu tun. Auch dieses Mal war das so geplant. Ich dachte immer, dies sei ungefährt der Umfang, in dem sich die Songs bewegen. Und dann ist man im Studio, es herrscht Dynamik, man ist am Spielen... dann kann man ja nicht sagen, komm wir brechen hier ab, wir haben ja gesagt nur 45 Minuten. Es entsteht einfach so, und dann ist es so. Dazu kommt, dass mir am Ende zwei Songs einfach noch vor die Füsse gefallen sind. Zuerst dachte ich, die können warten. Aber ich musste sagen: Nein, die gehören da rein!

Kurz vor dem Release habt ihr noch zu Universal Music gewechselt. Wieso das?
Wir hatten damals zum Musikvertrieb gewechselt, weil es bei Sony BMG einen Zusammenschluss gegeben hatte. Und die Leute, die uns wichtig gewesen sind, die gingen zum Musikvertrieb. Nach einem Jahr sind die dort aber wieder ausgestiegen. Und der Musikvertrieb macht mir nicht den Eindruck, als könnten sie unser Werk würdig vertreten.

Das erste Lebenszeichen von euch gab's beim Start der Euro 08. Wie war es für dich, endlich wieder auf der Bühne zu stehen?
Es war sehr schwierig für mich. Wir waren zu dieser Zeit im Studio, und da arbeitet man einfach mit einem anderen Fokus. Und so eine Festivalbühne war eher grobmotorisch. Das war einfach der Eindruck. Einerseits hat es mir sehr gefallen, dass die Band so präsent war, auf der anderen Seite merkte ich, dass ich mit meinen Gedanken bei der neuen Scheibe bin. Ich war nicht wirklich dort, ich war eigenartig abgespacet. Und sowas macht mich nicht glücklich, ich möchte an einem Ort präsent sein. Ich hatte mich einfach von dieser Scheibe nicht abgekoppelt, wird sind direkt vom Studio auf die Bühne gegangen.

Wie gross soll eure Tour werden?
Ich weiss es nicht genau. Wir starten irgendwie Ende Oktober und dann geht's bis zu Weihnachten hin, ich glaube bis zum 23. Dezember. Dann gibts eine Pause, und im Februar gehts dann weiter. Ich glaube es sind an die 50 Konzerte bis im Juni. Aber ich weiss es nicht genau auswendig.

Was werden die Fans Neues erleben an eurem Konzert?
Wir planen ein kulinarisches Making Of zu machen. Was haben wir während den Studioaufnahmen alles gegessen? Das wird dann so eine Art Kochbuch, wo man Rezepte nachkochen kann. (lacht). Das Essen war etwas sehr Wesentliches in der Zeit, in der wir aufgenommen haben.

Was würdest du sagen, wie sich das Musikbusiness der Schweiz weiterentwickeln wird?
Es gibt immer wieder Leute die Songs machen und an die Leute bringen wollen. Es gibt einige Wenige, die wirklich neue Impulse geben, eine eigene Sprache suchen und neue Dinge kreieren. Es gibt auch einige, die ganz öde immer nur das machen, was man schon lange kennt. So wird es sicher werden. Was die Plattenfirmen dabei für eine Rolle spielen, weiss man nicht so genau. Es wird immer in Bewegung bleiben, einen grossen Teil hört man sich an und man kennt es bereits, und einiges wird überraschen. Es gibt Leute wie eine Sophie Hunger, es gibt Kutti Mc, es gibt Leute die eine eigene Form finden, die vielleicht nicht einmal so sehr in die Breite geht, die aber eine eigene Sprache, Ausdruck und Substanz haben. Und um die geht es.