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Interview mit Chris von Rohr / Krokus



2010 – es gab Gutes und Schlechtes, es gab Top und Flop. Wie immer…
Doch was 2010 von anderen Jahren klar unterscheidet ist, dass DIE Schweizer Hardrock-Legende KROKUS mit einem Killer in Form eines neuen Releases namens „Hoodoo“ das Comeback des Jahres feierte. Nach 28 Jahren feuerten Chris von Rohr, Marc Storace, Fernando von Arb, Freddy Steady und Koki Kohler in alter Frische und voller Elan den hungrigen Hartmetal-Fans neue, feurige Schoten rotzfrech und direkt um die Ohren! Chris von Rohr erklärte sich bereit, das KROKUS-Jahr Revue passieren zu lassen.


hitparade.ch: Chris, vor einem dreiviertel Jahr trafen wir uns spontan zu einem Interview für hitparade.ch – das Jahr neigt sich nun dem Ende zu, weswegen sich hitparade.ch für den zweiten Teil des Interviews mit dir trifft. Was ist dein persönliches Resumé von 2010?
Chris: Wir dürfen mehr als happy sein. Hätte mir jemand bei unserem letzten Treff vorausgesagt, was wir alles im 2010 erreichen würden, ich hätte ihn für verrückt oder etwas naiv erklärt. Alle jammern wegen der Krise in der Musikbranche - wir sicher nicht. Der Gott des Röck’n’Rölls war mit uns.

hitparade.ch: Wahrlich… Ihr seid mit dem „Hoodoo“ Album nun ein dreiviertel Jahr durch Europa getourt; Deutschland, Österreich, Tschechien… Und nun beschliesst ihr die Tour mit einigen Konzerten in der Schweiz. Wie war die Resonanz auf eure Liveauftritte?
Chris: Das erstaunliche für uns ist, dass wir im Ausland genau gleich offen und begeistert empfangen werden wie zu Hause. Die Fans kennen unsere Geschichte, und wir müssen nicht mehr alles erklären und kämpfen um jede Zugabe. Das ist ausserordentlich schön und zeigt, was diese Band schon alles erreicht hat. Ich kenne keine andere Schweizer Rock-Band, die pro Jahr immer noch im Ausland über 20'000 CDs vom Backkatalog verkauft und so eine breite Fanbase hat. Dafür sind wir dankbar. Es ist der Lohn von 30 Jahren Blut, Schweiss und Tränen. Krokus haben immer alles gegeben, egal wo wir gerade waren, und das bis zur Selbstzerfleischung.

hitparade.ch: Unter anderem war sicher das „Bang Your Head“ Festival, ein Heavy Metal Kultur Ereignis, ein Höhepunkt der Konzertreise. Mit Bands wie den legendären Anvil, Queensrÿche, Saxon, Demon, Doro oder Blitzkrieg, sowie Thrash-Grössen wie Destruction und Forbidden habt ihr das Billing geteilt… Lass uns an deinen Erinnerungen an dieses Festival teilhaben.
Chris: Es war wahrlich die Sternstunde des Jahres im Ausland!
Wir waren in Topform, doch die Konkurrenz war gross, es war wie in der Champions League - absolut no mercy! Aber es stimmte alles bei uns und danach durften wir in den wichtigsten und grossen Rockblättern lesen: „KROKUS DER WAHRE HEADLINER VOM B.Y.H“, Mehr kann man von so einem Hammerereignis nicht erwarten. Wir können sterben.

hitparade.ch: Und dann war da noch das Konzert mit AC/DC…
Chris: Das hätten wir besser sein lassen.
Es war gelinde ausgedrückt DER Soundterror. Die Crew der Australier stellten bei uns das PA zu dreiviertel ab. 100 Meter vor uns konnten die Leute während unserer Show miteinander plaudern. Wir merkten dies zu spät. Man hätte nach 2 Songs aufhören sollen und durchs Mikrophon die Ansage „habt ihr das wirklich nötig, Boys“ durchrufen müssen und tschüss! Unser Mischer wurde nonstop bewacht und wollte er die Lautstärke etwas anheben, zog ein flötengesichtiger AC/DC Söldner sofort das Level runter. Aber diese Musik muss mit dem gewissen Hammer kommen oder man lässt es besser sein und stellt ne Blaskapelle auf die Bühne. Wahrlich; diesen Tag mussten wir aus unserer Agenda streichen.

hitparade.ch: Kommen wir zu etwas erfreulicherem: 25 Wochen, also ein halbes Jahr, wart ihr mit „Hoodoo“ in der Schweizer Hitparade vertreten, davon sogar 10 Wochen in den Top 10 und selbst auf Platz 1 wurdet ihr gelistet. Zudem steht „Hoodoo“ heute kurz vor Doppelplatin. Was bedeutet dir das?
Chris: Es zeigte mir, dass der Krokus-Spirit eben immer noch funktioniert; als Musiker ist es sicher eine grosse Freude Edelmetall zu bekommen - da kommt nebst der Liebe zur Musik schon etwas Sportsgeist auf! Als Produzent musst du dir dazu vor jeder Produktion überlegen, ob du dir das antun willst durch all diese Diskussionen und Fights zu gehen und die Verantwortung zu übernehmen, sollte es ein Flop werden! Das ist wie der Trainerjob im Fussball. Zum Glück hat’s geklappt! War auch ein Riesenstück Arbeit.

hitparade.ch: Die Reunion, davon konnte ich mir vor Ort selber ein eindrückliches Bild machen, wurde von den Schweizer-Fans mit viel Liebe und Freude aufgenommen, und ihr habt uns mit euren feurigen Auftritten für 2 Stunden Glückseligkeit beschert. Wie ist die Stimmung jetzt - nach dem ersten Album seit „Headhunter“, nach der erfolgreichen Tournee, nach den Festivals – innerhalb der Band?
Chris: Die zwischenmenschliche Stimmung war noch nie so gut und ehrlich in der Band. Wir gönnen uns auch Breaks und Pausen anstatt ständig aufeinander zu hocken. Das brauchen wir.

hitparade.ch: Marc, Fernando, Freddy und du – und ein bisschen auch Koki – seid einen langen Weg zusammen gegangen. Wie man weiss, war das in der Vergangenheit oft ein steiniger Weg mit vielen Problemen und Streitereien. Jetzt seid ihr der klassischen „Sturm und Drang-Zeit“ entwachsen. Geht man da allgemein lockerer miteinander um?
Chris: Es gibt da 2 Ebenen: die menschliche - die ist problemlos und schön. Jeder ist wie er eben ist. Man mag einander und der Arschlochfaktor ist hier gleich Null. Dann die musikalische, wo es natürlich immer etwas brodelt um den von mir und Fernando gewünschten Anspruch und Drive so hinzukriegen, wie wir das hören und gerne hätten. Da darf man nix schönreden und muss alles fordern - sonst tönen wir am Schluss so wie die meisten Schweizer Bands: Harm- und zahnlos, zu wenig dringend. Das haben wir nie gewollt und werden es auch nie zulassen - Rentnerrock wird’s bei uns nicht geben, zurücklehnen auch nicht. Verblüffend auch, dass Marc noch keinerlei Stimmverlust zeigt - das ist grossartig und macht Freude.

hitparade.ch: Es wurde letzthin bekannt, dass der Song „In My Blood“ für die US-Serie „Undercovers“ des Senders NBC verwendet wird. Wie kam es dazu und was kannst du noch dazu sagen?
Chris: Der Regisseur hörte das neue Album und stand auf den Song. That’s all. Manchmal kann es schnell gehen.

hitparade.ch: Thema USA; meines Wissens gab es 2010 keine US-Tour. Lag es daran, weil Angebote auslieben oder waren die Angebote einfach nicht euren Vorstellungen entsprechend? Wie waren die Reaktionen in den Staaten auf „Hoodoo“?
Chris: Wir hatten und haben viele Angebote und kamen wirklich ins Grübeln, ob wir wieder loslegen sollten in den verunreinigten Staaten, im Land des Rock’n’Rolls. Eines ist jedoch völlig anders als früher: Dieses Land ist nahezu bankrott! Unter dem Strich wäre das ne Nullnummer finanziell. Früher hätten wir das getan, heute sind wir weiser - wir gehen nicht mehr für einen Haufen Groupies und ein paar Linien spielen. Wir und unsere Familien wollen ernährt werden. Aber wer weiss, vielleicht ändert sich da noch was. Wenn ich mir jedoch den Dollarwert und die ganze „buy now - pay never“ Mentalität der Amis anschaue, komme ich schon ins Grübeln!

hitparade.ch: Deutliche, wahre Worte. Die Essenz von Krokus sind eure Live-Shows. Bist du heute noch zufrieden mit „Hoodoo“, sind die Songs live noch aufregend zu spielen oder haben sie sich bereits etwas abgenutzt?
Chris: Es ist so wie bei jedem Album: Am Ende einer Tour bleiben zwischen 2 und 3 Songs in der Best-Of-Live-Survival Liste hängen. Das sind diesmal: „Hoodoo Woman“, „Rock N Roll Handshake“ und „Shot Of Love“. Und das Intro von „Ride Into The Sun“, das dann in „Winning Man“ übergeht.

hitparade.ch: Vor rund 31 Jahren erschien das für euch wohl wegweisendste Album – „Metal Rendez-Vous“ – ein Album, das heute noch gut gekauft wird, in so mancher Beiz in der CD-Jukebox eingereiht ist und einige Titel daraus werden noch häufig von Radiostationen gespielt. Und ja; bei weitem nicht nur hier in der Schweiz. Was geht dir durch den Kopf zu diesem CH-Meilenstein-Album, wenn du jetzt so aktuelle Abrechnungen siehst von irgendwelchen Labels und SUISA, die dir zeigen, dass das offenbar auch nach 30 Jahren noch funktioniert; findest du das manchmal verrückt?
Chris: Irgendwie schon, aber es zeigt auch, dass sich voller Einsatz und Herzblut für einen Traum lohnen. Auch wenn man aus diesem gesättigten, zynischen Land kommt wo dich jeder auslacht, wenn du so was wie eine Weltkarriere anstreben willst. Dieses Album war sicher unser Meilenstein, unser „Sgt. Peppers“. Da hat einfach alles gestimmt: Timing, Kreativität, Einsatz, Unverbrauchtheit, Freude und Leichtigkeit. Jede Band hat so ein prägendes Album, das alles in Bewegung setzt. Es entsteht meistens kurz bevor es passiert - vor dem grossen Erfolg und darum hat es diese Frische und Freude. Die Schulterklopfer, Buchhalter und Schönredner sind noch nicht da - man kann sich frei entfalten, hat noch keinen grossen Druck. Man hört noch nix wie: „macht noch mal ein Bedside Radio“ oder so. Dazu kommt: Wir konnten diese Songs ein halbes Jahr auf den Bühnen in Deutschland und der Schweiz testen. Das ist essentiell, da man im Studio immer den Fehler macht zuviel reindrücken zu wollen und dabei die Live-Tauglichkeit vergisst.
Gerne denke ich an diese Zeit zurück, da wusste man noch, um was es ging beim Musik machen - der ganze Compi- und Downloadscheiss, diese ich-will-möglichst-schnell-berühmt-werden-Manie war noch in weiter Ferne. Man musste hin stehen und abdrücken ohne Netz und doppelten Boden. Ich wünschte alle jungen Bands dürften nochmals in dem Umfeld aufwachsen und ihre Chancen nutzen. Heute zu starten ist die Hölle - die Hölle der Reizüberflutung. Too much of anything kills everything! Da muss man schon sehr aufpassen sein inneres Flämmchen nicht zu verraten oder gar ausgehen zu lassen. Auf der anderen Seite darf man die Schatztruhe von 50 Jahren Rock’n’Roll öffnen und sich inspirieren lassen. Wunderbar! Klar, die Leinwand ist nicht mehr weiss, aber man kann es wenigstens versuchen, etwas Eigenes hinzuzaubern.

hitparade.ch: Die Karten sind gemischt – was erwartet uns aus dem Hause KROKUS im noch jungen Jahr 2011? Man munkelt sogar, es würde noch ein Live-Album rausgehauen werden…?
Chris: Für ein Live-Album ist es zu früh - es gibt ja schon zwei. Nein, das werden wir, so Gott will, 2013 in Angriff nehmen, dann haben wir genug neue Perlen, die sich mit den Evergreens mischen. Zuerst steht aber nächstes Jahr ein neues Album an. Wir wollen den guten Groove, den Schwung gleich mitnehmen und noch mal nachlegen. Das macht mehr Sinn. Die Arschaufreisserei geht also weiter. 2011 wird ein Jahr des Sähens!

hitparade.ch: Was gibt es für einen Ausblick in die Zukunft aus der Chris von Rohr Küche? Du hast Bücher geschrieben, Radio-Sendungen gemacht, Alben produziert, schreibst Kolumnen. Was können wir von dir in nächster Zeit erwarten? Weitere Bücher, gut produzierten Schweizer Rock, fette Statements?
Chris: Ich war nie ein Diplomat oder fucking Weisswesten-Dude. Ich sage was ich denke und zwar gerade heraus, so wie’s eben ist, wie ich es empfinde. Den einen passt’s den anderen nicht - das war schon immer so in Disneyland Switzerland. No big deal! Am Schluss zählt eh der Leistungsausweis nicht das Gelaber.
Im Producing will ich mich nicht verzetteln! Auch wenn es viele Angebote gibt, meine ganze und volle Aufmerksamkeit gilt Krokus - das ist wohl klar!
Zu den Büchern: Ich plane noch genau 3 Bücher:
1. Ein Best Of meiner diversen Kolumnen zum Sinn und Unsinn des Lebens - das sollte Ende Jahr erscheinen.
2. Eine Hymne auf das Kind. Arbeitstitel „Call Of The Child“.
Und 3. Der letzte Teil der „Hunde wollt ihr ewig rocken“ autobiographischen Trilogie. Das kommt in ca. 5 Jahren, wenn’s dann diesen Planeten so noch gibt und sich die Menschen nicht vorher gegenseitig aufgefressen haben.

hitparade.ch: Vor wenigen Monaten wurde Gotthard-Sänger Steve Lee auf tragische Weise aus dem Leben gerissen. Du warst Mentor und Produzent von Gotthard und kanntest Steve sehr gut. Möchtest du ein paar Worte zu seinem viel zu frühen Tod sagen?
Chris: Es gäbe viel zu erzählen zur Causa Steve Lee. Ich beschränke mich hier mal auf folgendes:
Wir haben ein paar wunderbare Songs zusammen geschrieben. Die werden noch lange erhalten bleiben. Der ganze dramatische, der brutale Rest führt uns wieder mal schonungslos vor Augen, wie vergänglich und zerbrechlich ein Menschenleben an sich ist. Tag für Tag sterben über 50'000! Kinder an den Folgen von Hunger und Krankheit. Heute, jetzt! Wir tun gut daran jeden Tag voll und ganz zu leben, als wäre es unser letzter. Forget the monkey business und die Sinnlosdiskussionen! Aufs Wesentliche konzentrieren ist angesagt, sein bestes geben und geniessen was uns dieses allzu kurze Leben zu bieten hat. Wir haben meiner Meinung nach nur eine Chance, danach ist End of Story. Vielleicht auch Nirvana. Der ganze Wahnsinn wird ein Ende nehmen. Was ja auch nicht unbedingt bad news sind. In dem Sinne: Happy, rockin’ kick ass, 2011!